Zhenya Strigalev: alto saxophone
Alex Sipiagin: trumpet
Matt Penman: double bass
Linley Marthe: bass guitar
Liam Noble: piano
Eric Harland: drums
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Ein wenig sieht er aus wie von Mama angezogen: schlammbraunes Hemd, lindgrüner Pullunder, ein grob gewirkter Mantel. Doch der erste Eindruck täuscht. Der Mann hat zwar wenige Mittel, aber Willen zum Styling. Pauvre chic eben. Das passt zum schweren russischen Akzent ebenso wie zum Beruf. Zhenya Strigalev ist Saxofonist. Seine Leidenschaft ist der Jazz. Wenn er auftritt, trägt er gern sorgsam gebundene Halstücher. Warum es just die Finanzmetropole London sein musste, weiß er heute nicht mehr so genau. Fix ist nur, dass er sich um ein Stipendium an der noblen Royal Academy of Music bemühte und es auch bekam.
Mit einem kleinen Koffer und seinem Saxofon kam er an. Viel mehr besitzt er auch heute nicht. Oder doch: den britischen Pass. Jetzt kann er leichter in die USA reisen. Dort hat er 2012 sein hintersinniges Album „Smiling Organizm“ eingespielt. Mit wirklichen Granden. Etwa dem Schlagzeuger Eric Harland, der sonst mit Charles Lloyd oder Dave Holland spielt. Oder dem Bassisten Larry Grenadier, bekannt aus dem sublimen Brad Mehldau Trio. Diese Meister konnte der außerhalb Londons praktisch unbekannte Strigalev natürlich nicht mit Geld locken; es war seine Musik, die sie überzeugte. Mit seinen unorthodoxen Harmonien schafft es der sympathische Russe immer wieder, erfahrenen Kollegen Neues zu zeigen.
In den Pubs um drei Uhr früh
In London ist er eine bekannte Figur. Der „Guardian“ nannte ihn einen „high wire character“. Und wahrlich, der Mittdreißiger steht unter Strom. Die große Konkurrenz stört ihn gar nicht. Rastlos eilt er zwischen Soho, Hackney und Dalston Kingsland herum, immer bereit, ein paar harsche Soli abzusetzen. Bald tritt er mit dem Sänger Cleveland Watkiss mit scharfem Bebop-Programm im Ronnie Scott's in Soho auf, dann rast er wieder in den Vortex Jazz Club, um mit der Band des Exilösterreichers Hannes Riepler zu jammen. Kaum fertig und das bisschen Hutgeld eingesteckt, tummelt er sich weiter ins Café Oto, ein uriges Avantgarde-Elysium nahe der Dalston Kingsland Station. Wird es spät im wilden Osten Londons, wo die Pubs auch am Sonntag bis drei Uhr früh offen haben, geht es auf einen Absacker ins immer volle Haggerston. Irgendwann muss auch ein Zhenya Strigalev nach Hause. Dann hat er ein kleines Problem, weil er kurioserweise im noblen Covent Garden residiert. Dorthin geht er oft zu Fuß. Geschätzte drei Stunden. Wie kann er sich als Jazzer eine Innenstadtlage leisten? „Ich habe eine Mäzenin“, murmelt er ein wenig verschämt und verschanzt sich hinter zwei Tortenstücken in seiner Lieblingskonditorei in der Wardour Street. Hier holt er sich die Süße, die im Überlebenskampf nötig ist. Dieser ist, trotz Wohltäterin, herb. Die Dame darf man sich nicht so mondän vorstellen wie die legendäre Nica Rothschild, die in den Fünfzigerjahren Jazzgrößen wie Charlie Parker und Thelonious Monk unterstützte. Sie sitzt im Rollstuhl, vom Hals abwärts gelähmt. Trotzdem ist sie bei jeder von Strigalevs Tourneen dabei. In seiner Musik spürt sie ein Feuer und eine Grenzenlosigkeit, die ihre Behinderung für kurze Zeit zum Verschwinden bringt.
Die Sprunghaftigkeit von Strigalevs Altsaxofonspiel erstaunt. Auf exzentrische Weise changiert er zwischen steinaltem Bebop, klassisch modaler Ausdrucksweise und freien Einschüben. Die Augen hat er dabei stets geschlossen. Die Art, wie bei ihm das Plötzliche mit dem Kontinuierlichen ringt, hat etwas Verstörendes. Britische Musikjournalisten sprechen zuweilen zart ironisch von byzantinischer Melodiegebung. Dafür übt er hart. Gibt es denn einen Tag, an dem er nicht zum Saxofon greift? „Nein“, lächelt er, „weil du als Jazzsaxofonist wie ein Spitzensportler agieren musst. Übst du ein paar Tage nicht, bilden sich gewisse Muskeln am Kopf und am Nacken zurück, und das schränkt deine Ausdrucksmöglichkeiten ein.“
Trotz eiserner Disziplin bleibt Strigalev ein Mann mit Humor. Wenn er gut aufgelegt ist, kann es passieren, dass er live den Fußgängerzonenklassiker „Midnight in Moscow“ anstimmt. „Ach, wie liebte ich dieses Stück, als ich klein war! Es hat ein so pikantes Riff. Leider hat sich seine Magie für mich verloren. Jetzt, so viele Jahre später, will ich dieser abgespielten Melodie wieder etwas Würde verleihen.“ Mit Sorgfalt widmet er sich dabei den Details, betont jede Note individuell. Jazz ist für ihn immer noch ein Genre mit großem Potenzial: „Man muss im Jazz nicht alles sofort verstehen! Das Schöne am Jazz ist das ewige Streben. Nicht nur als Spieler, sondern auch als Hörer. Für diese Tugend zu werben ist in unseren Zeiten essenziell.“ (Samir H. Köck)