Sun Oct. 4, 2015
20:30

Gilad Atzmon & The Orient House Ensemble 'The Whistle Blower' (ISR/GB)

Gilad Atzmon: alto saxophone, clarinet
Frank Harrison: piano
Yaron Stavi: bass
Chris Higginbottom: drums

Sorry this part has no English translation

Gilad Atzmon ist einer der großen Saxofonisten unserer Zeit. Robert Wyatt hat ihn als den heute weltweit besten lebenden Musiker bezeichnet. Obwohl er ein heißbegehrter Session-Spieler und Autor ist, hält er die Jazz-Flamme immer noch am Leben. Im Jahre 2000 gründete Gilad das Orient House Ensemble in London. Sein jüngstes Album ist das wohl Jazz-orientierteste Werk seiner Karriere. Mit dem neuen Drummer Chris Higginbottom entsteht zudem ein eher traditionelles Jazz-Gefühl. Gilad kann dadurch seine Soprano-Technik besonders gut entfalten und auch zeigen, was für einen einfühlsamen Touch er besitzt und dass er zudem ein hervorragender Improvisator ist. In den letzten Jahren entwickelte sich Gilads Musik zunehmend hin zu einer kulturellen Mischung aus Bebop und nahöstlichen Klängen. Gilads Liveauftritte sind dabei einfach nur atemberaubend und überwältigend.

Als Mitglied der Blockheads, hat Gilad mit Ian Dury, Robbie Williams, Sinead O'Connor und Paul McCartney zusammengearbeitet. Gilad machte dafür auch Studioaufnahmen mit Robert Wyatt, the Water Boys. 2014 nahm er mit Pink Floyd auf und wurde auf ihrem letzten Album The Endless River gefeatured. (Pressetext)

Der Saxofonist Gilad Atzmon vereintin seinem Orient House Ensemble jüdische und arabische Musiktradition, Jazz und Po. Als „The Whistle Blower“ verrät er das Geheimnis, wie all dies wunderbar zueinander passen kann. Und spielt sich nebenbei in hymnische Gefilde, die stellenweise an John Coltranes Improvisationen über „A Love Supreme“ erinnern. Manches ist zum Träumen, anderes wühlt auf – un alles hinterlässt tiefe, seelenbewegende Eindrücke.- Audio

Wenn er den Jazz als seinen persönlichen "Dschihad" bezeichnet, provoziert er meist heftigsten Widerspruch. Dabei bedeutet das arabische Wort ("Anstrengung, Kampf, Bemühung") für Gilad Atzmon nichts anderes als Leidenschaft. Freilich geißelt der israelische Saxophonist, der seit mehr als zwei Jahrzehnten im britischen Exil in London lebt, dabei die in seinen Augen unerträglichen Lebensbedingungen der Araber in seiner Heimat und die Politik der israelischen Regierung, sprich: die israelische Identität überhaupt.

Dies wird in all seinen Konzerten deutlich. Dabei ist Atzmon eigentlich ein musikalischer Brückenbauer und Versöhner par excellence. Sein seit 15 Jahren bestehendes Orient House Ensemble ist auf der Suche nach musikalischen Geschwistern im Geiste, sei es mit dem tunesischen Oud-Spieler und Sänger Dhafer Youssef, dem skurrilen Sänger Robert Wyatt oder dem rumänischen Geigenvirtuosen Dimitru Ovidiu.

Atzmons Musik selbst erinnert an die Verspieltheit des Klezmers ebenso wie an die Musik des Nahen Ostens mit ihrer orientalischen Harmonik. Seine machtvolle, zuweilen ironische Mixtur aus Bebop und nahöstlichem Tonfall bringt auf unnachahmliche Weise orientalische Musik mit der Formsprache des Jazz zusammen. Der als "äußerst interessante Persönlichkeit" von Veranstalter Ray Austin präsentierte Saxophonist beginnt das über zweistündige Konzert mit einer Ballade, die er mit durchdringendem, kraftvollem Ton, gespickt mit flüssigen, zitathaften Bebop-Läufen, zu einem schnellen Blues aufrauschen lässt. Dazu liefert Frank Harrison flächige Sounds auf seinem elektrischen Yamaha-Klavier.

Weitere prägnante Soli sollten im Lauf des Abends noch folgen. Der neu ins Ensemble gekommene Schlagzeuger Chris Higginbottom hält mit kräftigen Schlägen dagegen, während sich Bassist Yaron Stavi nie aus der Ruhe bringen ließ. Die folgenden Kompositionen "Whistle Blower", "Tel Aviv" oder "Ghaza, mon amour" aus Atzmons Feder sind immer auch politische Statements, die der 51-Jährige entsprechend kommentiert – um sie dann um so lustvoller zu spielen. Stets durchdringend und expressiv sind sein Altsax- und Sopranton, voller Intensität und Leidenschaft sein Spiel.

Schließlich gibt sich der allseits gut aufgelegte Saxophonist wieder versöhnlich, wenn er sein "Autumn in Bagdad" geschickt mit dem Jazz-Standard "Autumn leaves" verbindet, in dem die Sehnsucht eines Verlassenen beim Anblick des Herbstlaubs geschildert wird. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn sich das Orient House Ensemble mit Louis Armstrongs Hit "It’s a Wonderful World" von einem begeisterten Publikum verabschiedet. -Rainer Kobe