Di 18. April 2023
20:30

Chris Jagger (GB)

Chris Jagger: guitar, vocals
John Jagger: vocals, guitar
Eliett Mackrell: vocals, fiddle, bass pedals
Paul Atkinson: drums

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Chris Jagger über seinen berühmten Bruder Mick Jagger und die Stones

Chris Jagger macht seit 45 Jahren Musik. Im Interview spricht über sein Leben, den berühmten Bruder, die 60er Jahre und welche beruflichen Pläne seine Eltern für die Geschwister hatten.

Mr. Jagger, Ihre Autobiografie heißt „Talking To Myself“. Führen Sie oft inspirierende Selbstgespräche?
Chris Jagger: Je älter man wird, desto mehr spricht man mit sich selbst. Um zu unterstreichen, was ich mit dem Buchtitel meine, habe ich einen gleichlautenden Song im Stil von Mose Allison geschrieben, der irgendwie vom Schreiben handelt. Der berühmte britische Dramatiker Alan Bennett, der den 1960ern in New York „Beyond The Fringe“ verfasst hat, sagte einmal in einem Interview: „Schreiben ist ein bisschen wie ein Selbstgespräch.“ Das war gut genug für mich!

„Hey Brother“ liest sich wie eine Ode an lebenslange brüderliche Bande. Wie fühlt es sich an, Ihrem Bruder Mick ein eigenes Lied vorzusingen?
Jagger: Auf diesen Song habe ich einige sehr schöne Reaktionen bekommen. Ein Holländer schrieb mir, er habe mit seinem Bruder eine Menge durchgemacht. Normalerweise sei er nicht sentimental, aber dieser Song habe ihn wirklich gerührt. Ich versuche immer, über persönliche Erfahrungen zu schreiben, in der Hoffnung, dass alle damit etwas anfangen können. Ich glaube wirklich, dass Musik wie Medizin oder eine Therapie wirken kann.

Welche beruflichen Pläne hatten Ihre Eltern für Sie und Ihren Bruder?
Jagger: Lehrer, wie unser Vater. Aber sie haben uns keinen Druck gemacht. Natürlich hatte besonders unser Vater Erwartungen an uns, wenigstens einer seiner Söhne sollte eine solide berufliche Laufbahn einschlagen. Dafür braucht man ein Studium. Mick und ich waren keine ausgesprochen praktischen Jungs, die Fahrräder reparieren konnten, aber in der Familie meiner Mutter gab es gute Ingenieure.

Singen wurde in Ihrer Schule nicht gefördert. Wie haben Sie und Mick sich das Musizieren beigebracht?
Jagger: In der Schule sangen wir ein bisschen im Chor. Das war’s. Kein einziger meiner Freunde spielte ein Instrument. Damals gab es eine große Kluft zwischen „frivoler“ populärer Musik und der Musik von Bach, Mozart oder Haydn, die als wertvoll angesehen wurde. Unsere Eltern mochten die alten Jazzbands, die damals überall zum Dinner Dance aufspielten. Der Eintritt kostete 25 Schilling. Als Mann war das die einzige Chance, eine Frau zu berühren. Die Dinge waren viel formeller als heute. Als ich diese Platte machte, habe ich öfter gedacht: Ja, meiner Mutter würde dieses Lied gefallen! Es ist schon seltsam, wenn man herausfindet, dass die eigenen Eltern etwas mögen, was man tut. Vor allem, wenn sie nicht mehr da sind.

Ihre Platte „Mixing Up The Medicine“ hat Anklänge an die Vergangenheit. Ist das bewusst geschehen?
Jagger: Dinge, die gut sind, kommen wieder in Mode. Ich bin nicht sehr gut in dieser modernen elektronisch gesteuerten Computermusik. Ich muss das tun, was ich kann. Ich mag es, wenn Musiker live und im Studio zusammenspielen. Ich hätte es gehasst, ein Album im Lockdown zu machen.

Das erste Mal sahen Sie die Rolling Stones 1963 in einem Londoner Club namens The Scene. Waren die Stones damals schon laut und wild?
Jagger: Nein, es war ein Konzert mitten in der Woche. Aber es war aufregend. Ich saß an einem Tisch und traute mich nicht zu tanzen. Da hat auch sonst niemand getanzt. Es war ein ziemlich schäbiger Club im Zentrum Londons, wo die Leute abhingen, ein Bier tranken und der Band zusahen. Das Nachtleben war neu für mich. Ich habe hart an diesem Absatz gearbeitet, um diesen wichtigen Moment lebendig zu machen. Das Buch handelt nicht von den Rolling Stones, aber ich glaube, es gibt niemanden sonst, der die Band von Anfang an so intensiv erlebt begleitet hat. Ich war in einer einzigartigen Position, weshalb ich meine Erinnerungen so wahrheitsgetreu und umfassend wie möglich niederschreiben wollte.

Noch im selben Jahr erlebten Sie die Beatles und die Rolling Stones an einem Abend in der Royal Albert Hall. Wie war das?
Jagger: Sie waren beide unhörbar. Ich konnte vor lauter kreischenden Mädchen gar nichts verstehen. Die Beatles-Fans haben mit diesem ganzen Geschrei angefangen. Und dann schrien die Mädchen andere Bands an. Als die Rolling Stones in der Mod-Ära in Richmond ununterbrochen auftraten, waren sie noch eine reine Tanzkapelle. Die Leute achteten nicht auf die Band, sondern tanzten. Ich bin ein wenig enttäuscht von der modernen Ära, in der jeder nur auf seinem Platz sitzt und zuschaut. Das ist nicht das, worum es meiner Meinung nach geht.

Sondern?
Jagger: Es geht eher darum, einen Groove zu haben und zu tanzen. Ich habe mir einmal David Bowie in Los Angeles angesehen. Er rief ins Publikum: „Steht alle auf und tanzt!“ Als die Leute das machten, sagten die Ordner: „Setzt euch wieder hin!“ Sie schlugen die Leute sogar, wenn sie von ihren Sitzen aufstanden. Es ging nur um die Kontrolle über das Publikum. Der Rock’n’Roll war schon immer grenzwertig. Deshalb mochte das Establishment den Rock’n’Roll in den 1950er Jahren auch nicht.

1966 fingen Sie an, psychedelische Klamotten an Jimi Hendrix zu verkaufen. Haben Sie diese neuartige Kleidung selbst entworfen?
Jagger: Wir haben die bemalte Jacke, die er auf einem Plattencover trug, speziell für ihn angefertigt. Es war unsere Idee. Ein Mädchen namens Julia hat das Design für uns gemacht. Wir haben Jimi noch eine ganze Menge anderer Kleidungsstücke verkauft, wir verdienten damit ein bisschen Geld, aber nicht viel.

Wie reagierten die Behörden und das Establishment im Allgemeinen auf die Gegenkultur?
Jagger: Die Regierung hat viel Feindseligkeit geschürt. Man war sehr herablassend gegenüber kreativen jungen Menschen. Was sie machten, wurde als Witz abgetan. Man darf nicht vergessen, dass es den Vietnamkrieg gab und dass die Antikriegsbewegung eine große Sache war. Sie stand auch im Zusammenhang mit psychedelischen Drogen und Timothy Leary. Davor hatte das Establishment große Angst.

Damals sind Stars wie Marianne Faithful, Keith Richards und Mick Jagger wegen Drogenbesitzes verhaftet worden. Sind auch Sie mal von der Polizei abgeholt worden?
Jagger: Nein, ich habe meine Nase sauber gehalten. Mit viel Glück.

Existiert heute noch eine Gegenkultur?
Jagger: In England oder Deutschland sind die Normen ziemlich stark gesprengt worden, aber in Afghanistan lassen die Taliban Mädchen nicht zur Schule gehen. Auch in Afrika sind Frauen sehr eingeschränkt, sogar in den USA. Ich habe mal eine Geschichte über afroamerikanische Kirchen geschrieben, wo Frauen nicht viel zu melden haben. Deswegen gründeten einige von denen eine neue Kirche. (Olaf Neumann, Augsburger Allgemeine)
OLAF NEUMANN