Brian Marsella Trio (USA)
Der nächste Stone-Act (MusikerInnen aus dem Umfeld von John Zorns Klangrefugium) war heran gerollt. Gleich vorweg: jener pflanzte einen heroischen Monolithen in den Raum. Dimensioniert von einem fulminanten Trio unter der Leitung des ausnehmenden, wohl derzeit komplettesten, jazzaffinen New Yorker Tastenvirtuosen Brian Marsella. Einer der neuen im Zorn Universum. Seine ihn ständig fordernden Mitverantwortlichen sind die beiden arrivierten, rhythmischen „Hellseher“ der Down Town-Szene Dunn und Wollesen. Auslösendes Steuerungsmodul für die ätherischen Aggregatzustände sind Zorns kompositorische Entwürfe. Über zwei Dutzend zeitlich überschaubarer Stücke aus dessen „Masada Book 2-Book Of Angels“, welche jüngst gleich den Weg auf einen Tonträger gefunden haben, übersetzte das Trio zu hinreißenden Kleinoden. Wieder bewies Zorn ein goldenes Händchen in der Auswahl der Interpreten. Sind Dunn und Wollesen seit langem so etwas wie telepathische Mitstreiter des musikalischen Hyperaktivisten, so verblüffte Marsella mit der relativ kurzfristig aufgebauten Kongruenz mit Zorns musikalischer Welt. Des Pianisten instrumentaltechnische Virtuosität greift perfekt in das komplexe Kompositionsgetriebe von Zorn, der in typischer Weise eine Lesart der Nonkonformität, der sekundenschnellen Wechsel, der Versiertheit in verschiedenen musikalischen Diktionen einfordert. Das Wesen der Stücke hat er in der Sphärik des Jazz verortet, größtenteils fusioniert in einer frechen neo-bopigen/modalen Gemengelage, die in relativ konstanter Progression sich übte. Reflexionen über ikonische Stilisten des Jazzpianos, Fats Waller, Bud Powell, Bill Evans, McCoy Tyner oder Cecil Taylor seien genannt, prägten die Inhaltlichkeit. Wohlwissend ist Zorn nicht berechenbar. So prallten unterschiedliche Ästhetiken aufeinander, rieben sich, sogen sich auf oder verhallten beispielsweis in der Melodik jüdischer Musik oder auch Kürzeln klassischer Harmonien. Hierarchische Positionierungen der Instrumente sind in der Formidee soundso obsolet. Zeugnis von Zorns umfassendem, musikalischem Erkenntnisvermögen. Wie er heutige musikalische Qualität, durch den selbstverständlichen Umgang mit unterschiedlichstem Material, definiert, in einer Art „aleatorisch improvisiertem Pluralismus“, hat fast Alleinstellungsmerkmal. Kurz zurück zu den kreierenden Interpreten.
Die Fremdbestimmtheit löste sich in der Individualität der drei Persönlichkeiten phonetisch ab einem Zeitpunkt immer deutlicher auf. Die vom Komponisten für die improvisatorische Gestaltung unterlegten strukturierenden Gitter wurden ad hoc bravourös gedehnt, gekappt, neu geschichtet oder auf die Anordnungen bezugnehmend, intuitiv weiterentwickelt. Die immer stärker aufleuchtende Magie der mit Engelsnamen aus der jüdischen Glaubenslehre, wobei eher nicht auf vordergründige Religiosität des/der Protagonisten rückgeschlossen werden darf, überschriebenen Stücke, resultierte aus der besonderen Kompatibilität von Vorlage und Umsetzung. Egal ob Blue Angel, Angry Angel, Lyric Angel, Black oder White Angel, es ist die radikale Konsequenz, dieses sensorische Summieren von klangästhetischen Divergenzen, die harsche Sinnlichkeit die Zorns Engel beflügeln. Und an diesem Abend umwerfendst beflügelt wurden. (Hannes Schweiger, über das Konzert am 15. Oktober 2018)